Genießen den monatlichen Ausflug in die Werkstatt: Heinrich Janssen (87), Horst Schmitz (88), Heike Ravenschlag und Hartwig Foken (68, v. l. n. r.). ©Kursana

 
12.12.2018

„Jetzt kann die Weihnachtszeit kommen!“

Männer-Werkgruppe aus dem Kursana Domizil Aurich bastelt Adventsgestecke

Schon lange vor der geplanten Abfahrt haben sich die Männer im Foyer des Kursana Domizils Aurich versammelt. „Überpünktlich - wie jedes Mal“, sagt Heike Ravenschlag und lacht. Auf den heutigen Termin haben sich die fünf Bewohner der Senioreneinrichtung seit Tagen gefreut; sie können es kaum erwarten, bis es endlich mit dem Taxi-Kleinbus losgeht. Die Fahrt ist kurz, es ist nur ein kleiner Ausflug - aber er sorgt für Abwechslung und bedeutet den Männern viel.

Seit zwei Jahren schon begleitet Heike Ravenschlag, Leiterin der sozialen Betreuung des Domizils, die Senioren regelmäßig zu ihrer Werkstunde in die Oldersumer Straße in Aurich. Dort haben sie die Möglichkeit, in der Ergotherapie-Praxis von Silke Herlyn-Wessels gemeinsam kreativ zu sein -  in kleiner Männerrunde. „Bei uns haben sonst immer die Frauen die Oberhand“, erzählt Heike Ravenschlag. Unter den 105 Bewohnern des Kursana Domizils gibt es derzeit 22 Männer - und die halten sich bei den Veranstaltungen im Haus eher zurück: „Es sind die Frauen, die bei der Teestunde oder am Abend die Unterhaltung dominieren.“

Die engagierte Kursana-Mitarbeiterin hatte sich deshalb schon länger ein Freizeitangebot nur für die Herren gewünscht. Als sie vor zwei Jahren die neu eröffneten Praxisräume von Silke Herlyn-Wessels besichtigte und die dazugehörige Werkstatt entdeckte, ging ihr das Herz auf: „Das wäre was für unsere Männer!“ Seitdem haben die Senioren jeden Monat einen festen Termin, erzählt Heike Ravenschlag. „Es ist wichtig, dass sie mal einen Tapetenwechsel haben und rauskommen. Mich haben sie ja tagtäglich vor der Nase.“ Es tue ihnen gut, gelegentlich auch von anderer Seite Unterstützung, Motivation und Anerkennung zu erfahren.

Bevor es an die Arbeit geht, wird es in der Werkstatt erstmal richtig gemütlich. Die Ergotherapeutin, mit der sich die Männer schon längst vertraulich duzen, hat den Tisch zur Kaffeetafel umfunktioniert, und während die Herrenrunde sich mit Nuss- und Rosinenschnecken stärkt, verrät sie, was diesmal auf dem Programm steht: “Heute macht sich jeder ein Adventsgesteck!“

Bei der Auswahl der Bastelideen richtet sich Silke Herlyn-Wessels nach den individuellen Fähigkeiten der Männer, die zwischen 68 und 88 Jahre sind. Das Alter und Krankheiten wie Parkinson oder Gicht haben Spuren hinterlassen; die meisten sind auf den Rollstuhl oder Rollator angewiesen, auch mit der Fingerfertigkeit klappt es nicht mehr so wie früher. Aufwendige und ausgefallene Projekte machen da keinen Sinn, erklärt die Ergotherapeutin. „Es muss etwas Handfestes sein, womit sie auch etwas anfangen können.“ Dass die Männer lernen, sich trotz ihrer Einschränkungen wieder etwas zuzutrauen, sei besonders wichtig, betont auch Heike Ravenschlag: „Sie sind froh, wenn sie etwas bemalen, zusammenstecken oder leimen können und dann sehen, Mensch, ich hab’ da was Schönes geschaffen!“ So werde nicht nur die Motorik trainiert, sondern auch das Selbstwertgefühl der Senioren gestärkt.

Die Ergotherapeutin legt frische Tannenzweige auf den Tisch und verteilt Baumscheiben und -rinden. Schon bald duftet es in der kleinen Werkstatt nicht mehr nach Kaffee, sondern nach Wald. Zunächst müssen Löcher für die Kerzenhalter in das Holz gebohrt werden. Jetzt hat Horst Schmitz seinen großen Auftritt: Mit seinen 88 Jahren ist der frühere Maschinenbauschlosser zwar der Älteste der Runde, aber er wirkt noch sehr rüstig und verfügt über eine gute Feinmotorik. Die Freude ist ihm deutlich anzusehen, als er sich mit der Bohrmaschine profimäßig ans Werk macht und nacheinander Loch für Loch bohrt. Danach können alle mit ihren Gestecken loslegen - und zwar in Arbeitsschürzen. Das wäre heute zwar nicht unbedingt notwendig, aber es hat einen gewissen Symbolcharakter, erklärt Silke Herlyn-Wessels: „Die Werkstatt-Atmosphäre ist wichtig. Für die Männer ist es ein bisschen so wie früher, als sie zur Arbeit gegangen sind.“

Hochkonzentriert sind die Senioren bei der Sache. Tonklumpen müssen weichgeknetet und Tannennadeln von den Zweigen gezupft werden - keine einfache Aufgabe, wenn die Hände nicht mehr so wollen. Die Ergotherapeutin und Heike Ravenschlag fassen hier und da mit an, lassen die Männer aber so viel wie möglich alleine machen.

Ob Kerzenständer, Holz-Osterhase oder bedrucktes Bild - die kleine Gruppe hat im Laufe der beiden Jahre viele schöne Dinge produziert, die nun die Zimmer im Kursana Domizil schmücken. Mittlerweile sieht es in der Werkstatt schon sehr weihnachtlich aus; nun fehlt nur noch die Dekoration. Die Herren haben die Wahl: goldene, silberne oder blaue Kugeln? Engel, Glöckchen oder Strohstern? Vermutlich ist es für manche der Männer das erste Mal, dass sie ein Adventsgesteck gestalten; sie haben jahrzehntelang als Maurer oder Schlosser gearbeitet und waren zuhause eher für Heimwerkerarbeiten in Haus und Hof zuständig. Doch nun greifen sie sich gezielt aus dem Deko-Fundus, was ihnen gefällt. Goldkugeln, Zangen und Draht werden herumgereicht. „Meine Augen machen nicht mehr mit“, sagt Heinrich Janssen, 87, der jetzt doch ein bisschen erschöpft wirkt. Aber auch er hält wenig später sein fertiges Gesteck in den Händen und freut sich genauso wie Richard Schüt, 72, der still gearbeitet hat und beim Anblick seines vollendeten Werks stolz ausruft: „Guck mal Heike! Sieht schön aus!“

Am Ende der Stunde liegen Tannennadeln auf den Schürzen, Glitzerpartikel auf den Pullovern - und fünf schöne Adventsgestecke auf dem Werkstatt-Tisch. Viel zu schnell ist die Zeit verflogen. Alle sind sich einig: „Das hat Spaß gemacht - wie jedes Mal!“

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