Jetzt gehört Herta Krebs zum Kreis von 114 Frankfurtern, die 100 Jahre und älter sind.

 
28.10.2018

Bei ihr wird die Stadtgeschichte lebendig

Frankfurt. Das Datum 28. Oktober ‘18 hat Herta Krebs schon oft geschrieben. Es sind genau die Zahlen, die sie ihr Leben lang begleiten. Der 28.10.’18 könnte der morgige Sonntag sein, doch es geht um einen Montag im Oktober des Jahres 1918. Herta Krebs erblickte in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges in Frankfurt das Licht der Welt. Morgen feiert sie mit der Familie und Freunden in der Kursana Villa in der Eschersheimer Landstraße ihren 100. Geburtstag. Dort hat das „Frankfurter Mädsche“ aus dem Gallusviertel vor drei Jahren ein neues Zuhause gefunden.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal 100 werde“, sagt die Frankfurterin, die als Verkäuferin bei Hertie gearbeitet hat. In der Woll- und Strickwarenabteilung hat sie beruflich den roten Faden nie verloren und Freude daran gehabt, die Kundinnen zu beraten. „Ich habe aber nie selbst gestrickt“, bekennt sie. Warum auch? Ihre Mutter war Schneiderin und beherrschte die Handarbeit mit Tuch, Schere, Faden und Nadel meisterhaft. „Ich hatte die schönsten Kleider“, erinnert sich Herta Krebs. Auf dem Parkett des Zoo-Gesellschaftshauses war sie zuhause. „Ich hab´ für mein Leben gern getanzt.“

Das klappt mit 100 nicht mehr so. Der Rollator ist immer griffbereit und eine dankbare Stütze, mit der Herta Krebs in der Kursana Villa mobil bleibt und – das ist ihr ganz wichtig – sich selbständig bewegen kann. Mit der Gehhilfe auf vier Rädern fährt sie gern den Flur vor ihrem Appartement 119 auf und ab und hat manchmal ein Lied auf den Lippen. Vielleicht singt sie ein bisschen zu laut, denn hören kann Herta Krebs nicht mehr viel. „Es ist schlimm mit meinen Ohren.“ Selbst das Hörgerät schafft es nicht, die Stimme ihrer Gesprächspartner so zu verstärken, dass sie sich normal unterhalten kann.

Im Hinblick auf das Alter könne man viel schönreden, meint die 100-Jährige, doch dass man nach mehr als 90 Geburtstagen körperlich Probleme habe, sei doch normal und solle nicht verschwiegen werden, sagt die Frankfurterin. „Meine Augen sind auch ziemlich schlecht.“ Aber der Geist ist klar. „Hoffentlich bleibt das so“, sagt Herta Krebs. Das hoffen viele ältere Menschen. In Frankfurt lebten nach Angaben des Bürgeramtes der Stadtverwaltung Ende 2017 knapp 120 Menschen im Alter von über 100 Jahren. 1999 seien es 87 gewesen.

Vor Herta Krebs liegen einige alte schwarz-weiß Bilder auf dem Tisch, die sie herausgesucht hat, weil das Betreuungsteam der Kursana Villa diese Erinnerungen für eine Dia-Show über das Leben des Geburtstagskindes scannen und projizieren will. Die Fotos zeigen Herta Krebs beim Tanzen, beim Karneval in „Klaa Paris“ oder am Schiefen Turm. „Selbstverständlich war ich auch in Pisa, war das schön.“

Die Bilder bringen viele Momente aus den 1950er und 60er Jahren ins Gedächtnis, als es nicht nur in Tirol beim Wandern, sondern auch wirtschaftlich bergauf ging. Italienreisen – mit dem Zug an die Riviera oder mit dem Flugzeug von Frankfurt nach Rom werden wieder lebendig. „Mein Mann und ich waren damals viel unterwegs, denn er war Geschäftsführer eines Reisebüros.“ Der Internationale Kongress der Travelbranche in Sanremo sei ein Highlight gewesen. „Und zur Silbernen Hochzeit waren wir in Mexiko.“

Zurück an den Main: Herta Krebs hat viele große Ereignisse der Frankfurter Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts miterlebt: Bombenangriffe, Nächte im Keller gehockt und gehofft. Als die Sirenen 1943 heulten, hat sie ihren Sohn zur Welt gebracht. In den 50er Jahren beteiligte sie sich am Bürgereinsatz zur Beseitigung der Trümmer des Zweiten Weltkrieges, 1954 erlebte sie die Eröffnung der Kleinmarkthalle, zwei Jahre später flanierte sie über verbreiterte Zeil und sie staunte, als 1956 erstmals Autos in ein Gebäude fuhren. Das Parkhaus Hauptwache wurde eröffnet. Und noch ein Bild, das es Jahrzehnte nicht gab: Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Main. Das war im eisigen Winter 1964.

Und die 68er? Frankfurt, die Hauptstadt der Revolte, der gesellschaftlichen Veränderungen? Die Erinnerungen dran sind schwach, doch dann taucht plötzlich ein anderes historisches Ereignis in Herta Krebs´ Gedächtnis auf: Die Eröffnung der ersten Frankfurter U-Bahn-Strecke zwischen der Hauptwache und der Nordweststadt, mit der die Mobilität in der City so richtig in Fahrt kam. Die damals 50-Jährige verstand den ganzen Hype um eine Bahn, die unter der Erde fährt, nicht so richtig. Gelassen hat sie sich das Spektakel der Eröffnung angesehen, ohne sofort auf den modernen Zug aufzuspringen. „Ich habe mich dem Thema U-Bahn ganz langsam genähert und bin erst später mal mitgefahren“, sagt Herta Krebs.

Die Retrospektive hat schwarze Flecken: der Tod des Sohnes und der ihres Mannes sowie ihre Krankheiten. Und wie sieht die Zukunft aus? Gibt es Wünsche? Die alte Dame überlegt fast eine Minute lang. Pause. Im Alter scheinen Bescheidenheit und Dankbarkeit treue Freunde zu sein. Ihr fällt nichts ein, welche Freude ihr ein Mensch machen kann. Jemand, der bei ihren Geschichten zuhört? „Ja gern“. Und was macht für sie Sinn? „Gesundheit ist das Wichtigste. Ich will wieder alles hören und gut sehen können“, sagt Herta Krebs.

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