Bei einer gemeinsamen Kaffeepause im Kursana Domizil Bremen können Oksana Replianchuk und Waldemar Raczek kurz miteinander entspannen. ©Kursana

 
24.06.2023

Gemeinsam gegen die Angst

Die ukrainische Krankenschwester Oksana Replianchuk hat bei der Arbeit im Kursana Domizil Bremen eine neue Liebe gefunden. Wohnbereichsleiter Waldemar Raczek unterstützt die Pflegeassistentin dabei, besser mit der Sorge um ihre Familie im Kriegsgebiet klarzukommen.

Pflegeassistentin Oksana Replianchuk unterstützt die 90-jährige Anne-Dore Meyer fast täglich morgens beim Waschen und Ankleiden. Wenn die 46-jährige Ukrainerin der Bewohnerin im Kursana Domizil Bremen sorgfältig die Haare kämmt, bleibt immer Zeit für ein persönliches Gespräch. „Oksana ist eine ganz, ganz Liebe“, sagt Anne-Dore Meyer und schmunzelt. „So eine Frau wie sie hätte wohl jeder gern zur Schwiegertochter.“ Wenn die beiden auf ihre humorvolle, herzliche Art miteinander umgehen, kann Oksana Replianchuk eine Zeitlang die Sorgen um ihre Familie, die in ihrer Heimat unter dem Kriegsgeschehen leidet, vergessen. „Ich bin sehr dankbar für die Liebe, die ich von den Bewohnern bekomme“, sagt die ausgebildete Krankenschwester, die bei der Arbeit im Domizil in Wohnbereichsleiter und stellvertretendem Pflegedienstleiter Waldemar Raczek eine neue Liebe gefunden hat. „Mit ihm an meiner Seite komme ich mittlerweile auch mit meiner Angst besser klar.“

Oksana Replianchuks Heimatstadt Nowograd-Wolynski liegt gut 200 Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt. Dort hat die Mutter von zwei Töchtern auf der Krebsstation einer Klinik gearbeitet, bevor sie vor zehn Jahren mit ihrem damaligen Partner nach Deutschland kam. Vor drei Jahren vermittelte ihr eine Freundin, die als Wohnbereichsleiterin im Domizil arbeitet, die Anstellung als Pflegeassistentin. Waldemar Raczek, der 1990 mit seiner Familie als schlesische Spätaussiedler aus dem heutigen Polen nach Deutschland kam, fiel die neue Kollegin sofort auf. „Wir haben immer auf unterschiedlichen Wohnbereichen gearbeitet, aber in den Pausen miteinander gesprochen“, erzählt der 57-Jährige. Mit Ausbruch des Krieges Ende Februar vorigen Jahres intensivierte sich der Kontakt der beiden, bis sie im Mai 2022 ein Paar wurden und im Oktober in eine gemeinsame Wohnung zogen. „Die Menschen unserer Heimatländer verstehen sich als Freunde. Vielleicht hat mich das zu einem besseren Zuhörer gemacht“, überlegt er.

Oksana Replianchuks Eltern wollen trotz häufigem Luftalarm und Stromausfällen genauso wenig wie Oksanas ältere Tochter mit dem eineinhalb-jährigen Enkelsohn die Heimatstadt verlassen. Ihr Bruder ist als Soldat bereits mehrfach verletzt worden. „Ich bin anfangs fast verrückt geworden vor Angst, habe viel geweint und musste täglich mehrfach mit meiner Tochter sprechen“, erzählt Oksana Replianchuk. „Mittlerweile informiere ich mich morgens nicht mehr im Internet über das Kriegsgeschehen und telefoniere nur noch einmal täglich mit meiner Tochter. Die Anspannung bleibt, aber ich kann ja nichts beeinflussen und lerne durch Waldemar besser abzuschalten.“

Ihr erfahrener Kollege, der nach der Ausbildung zur Pflegefachkraft zahlreiche Weiterbildungen zum Praxisanleiter, Qualitätsbeauftragten und zum Pflegedienstleiter gemacht hat, ist in fast 25 Berufsjahren zum Fachmann in „Psycho-Hygiene“ geworden. „Ich arbeite richtig gern in der Pflege, weil ich hier täglich das Resultat meiner Arbeit erleben kann“, sagt Waldemar Raczek. „Wir sprechen auch zu Hause kurz über die Arbeit. Aber dann muss man abschalten können und es muss im Mittelpunkt stehen, was unserer seelischen Gesundheit guttut. Genauso ist es mit dem Krieg: Ich versuche Oksana zu bremsen, wenn sie sich in ihren Sorgen zu verlieren droht.“ Richtig gut tat es dem Paar, als das Kursana Domizil Bremen vor kurzem beim Umbau eines Wohnbereichs die gut erhaltenen Pflegebetten an eine ukrainische Klinik spendete und so konkrete Hilfe leistete.

Im Juli wird Oksana Replianchuk wieder die 24-stündige Busfahrt in ihre Heimat auf sich nehmen, um ihre Familie zu besuchen und zu erleben, dass ihr Enkelkind mittlerweile laufen kann. Sie hofft auf ein baldiges Ende des Krieges, auch um sich in ihrer neuen Heimat um die berufliche Anerkennung ihres Abschlusses als Fachkraft zu kümmern und eine ihrer Qualifizierung entsprechende Arbeit ausüben zu können. „Ich muss dafür nebenberuflich einen Sprachkurs für Fortgeschrittene belegen“, sagt sie. „Noch traue ich mir das nicht zu. Aber da ich im Domizil jede Hilfe für die Weiterbildung bekomme, werde ich hoffentlich bald die Kraft dafür finden.“

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