Der Weg ist das Ziel: Auf der alten Olympia schreibt Inge Uhl gern Briefe an ihre Schwester in den USA.

 
01.03.2022

Tippen im Gedankenfluss

Inge Uhl aus dem Kursana Domizil schreibt gern auf der alten Olympia-Schreibmaschine Briefe an ihre Schwester in den USA Büdingen. Durch die Digitalisierung haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten rasant verändert. Dank des Internets und mit einem Smart-Phone in der Hand können heute von fast jedem Ort der Welt aus Nachrichten und Fotos gesendet werden. Es scheint so, als seien die Menschen enger miteinander verbunden, denn je. Vergangenes Jahr wurden weltweit in einer Minute durchschnittlich 69 Millionen Kurz-Nachrichten und 200 Millionen Mails gesendet. Schnelligkeit wird zur Normalität, ein Klick und die Post geht ab, ganz ohne Briefmarke.

Für Inge Uhl ist das eine fremde Welt, in die sie noch nie eingetaucht ist. Mit dem Computer und dem Internet hat die 94-jährige Büdingerin nichts am Hut und sie habe auch nicht die Absicht, den Umgang mit der elektronischen Tastatur, dem Touch-Screen, mit Out-Look oder einem Word-Dokument zu erlernen. Inge Uhl, die vor zweieinhalb Jahren im Kursana Domizil in der Hannerstraße ein neues Zuhause gefunden hat, schreibt gern Briefe, heute noch so, wie sie das auch schon vor vielen Jahrzehnten gemacht hat – mit ihrer alten Schreibmaschine.
„Die hat mir mein Vater vor ungefähr 50 Jahren geschenkt“, sagt sie und steuert mit dem rechten Zeigefinger zielsicher den Buchstaben L an, um das erste Wort „Liebe . . . „ auf dem Brief an ihre Schwester in den USA zu schreiben. Via WhatsApp würde das Versenden der Nachricht aus der Wetterau nach Michigan ein paar Sekunden dauern, doch die von Inge Uhl auf Papier getippten Sätze sind länger als eine Woche über den großen Teich unterwegs. „Das macht nichts, Hauptsache der Brief kommt an“, sagt sie.
Inge Uhl liebt es, auf ihrer blauen Olympia Traveller de Luxe zu schreiben. Anders als beim PC oder einem Smart-Phone stürzt die Schreibmaschine nicht ab und der Akku ist auch nie leer. Seitdem die Feinmotorik ihrer Finger schlechter und die Handschrift unleserlicher geworden ist, sitzt sie öfter an diesem mechanischen Tippgerät, das von 1969 bis 1971 in den ehemaligen Olympia-Werken im Norden bei Wilhelmshaven hergestellt wurde. Das Schreiben ist für sie ein Prozess, der vom Gedankenfluss gesteuert wird. Die Briefe an ihre fast 90-jährige Schwester in den Vereinigten Staaten haben Tradition und die soll beibehalten werden.
Früher habe sich auf der Olympia Traveller de Luxe auch Bewerbungen, Rechnungen und alles Mögliche geschrieben, heute sind es nur noch die Briefe. Es ist nicht so, dass zehn Finger flink über die Tasten flitzen, doch die beiden Zeigefinger sind so treffsicher, das aus der richtigen Reihenfolge der Buchstaben ein Text wird und sich die Schwester immer wieder über die Nachrichten aus Büdingen freut. Als Angestellte einer Bank gehörte die Schreibmaschine zwar zu ihrem Berufsalltag, doch viel öfter bediente sie die Buchungsmaschine.
Inge Uhl arbeitet mit starken Typen zusammen. Sie ist heilfroh, dass die sogenannten Typen am Ende der Stange des Hebelgetriebes noch so gut auf das von der Schreibwalze gehaltene Papier schlagen und auf der weißen Fläche deutlich sichtbar schwarze Spuren hinterlassen. Und auch die Mechanik des Papierträgerwagens funktioniert nach fünf Jahrzehnten noch einwandfrei. Ab und an seien die Buchstaben verdreckt und müssten gereinigt werden. „Hoffentlich geht an der Schreibmaschine nichts kaputt, finden Sie heute mal jemanden, der Ersatzteile hat oder das reparieren kann.“, sagt Inge Uhl. 
Dass es im Internet die Verkaufsplattform Ebay-Kleinanzeigen gibt und dort sogar genau diese Schreibmaschine angeboten wird, weiß Inge Uhl nicht. Eine neue gebrauchte Olympia wäre vom Gefühl her auch nicht ihre Maschine, die mit Erinnerungen an den Vater verbunden ist und die fast wie ein Mikrochip, aber nicht mehr zu entziffern, alle je geschriebenen Texte auf der Walze hat.
 

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