03.03.2015

Sie fuhr gern mit ihrem Karl auf der 500er BMW Im Kursana Domizil feiert Hedwig Siebert am 28. Februar ihren 100. Geburtstag

Im Kursana Domizil feiert Hedwig Siebert am 28. Februar ihren 100. Geburtstag Dreieich. Die Erinnerungen an ein langes Leben mit den Bildern der Familie vor ihrem geistigen Auge werden zum Wechselbad der Gefühle. Ihr kommen Tränen ins Gesicht, als sie an ihren verstorbenen Mann Karl denkt: „Das war der Beste.“ Oder ihr verschmitztes Lächeln taucht wieder auf, wenn sie nach ihren Wünschen gefragt wird. „Ein bisschen will ich noch bleiben und sehen, was auf der Welt passiert“. Hedwig Siebert feiert am Samstag, 28. Februar, im Kursana Domizil in Dreieich ihren 100.Geburtstag. „Der liebe Gott will mich noch nicht“, sagt die Sprendlingerin.

Und sie will noch nicht zu ihm. „Ich möchte noch bleiben und die Leut´ hier ein bisschen ärgern“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Die Beine sind schwach, der Rollator gibt beim Gehen Sicherheit, das Gehör hat nachgelassen, doch ihr Humor ist stark wie ehedem. Immer wieder lacht Hedwig Siebert, selbst wenn sie an die schweren Zeiten in Niederbayern denkt. „Auch die bitteren Jahre waren irgendwie schön.“

Wie es Anfang der 1930er Jahre so war, mussten die Mädchen in „Anstellung gehen“. Auf einem Bauernhof gab es viel zu tun für die junge Hedwig. Manchmal sind die Gäule mit ihr durchgegangen, aber im Wortsinn. Ich musste mit einem Pferdewagen die Milch ausfahren.“ Die Gäule hätten aber trotz Zügel manchmal gemacht, was sie wollten. „Die wussten immer, wo es Futter gab.“

Die Jahre mit der Arbeit auf dem Hof zwischen Kühen, Pferden und Feldern waren hart. Sie habe überall mit anpacken müssen und sich keine Blöße geben wollen. „Das schaffst du“, sagte sie sich. „Ich war zäh.“ Später in Kassel gab es eine schwere Zeit voller Entbehrung. Der Zweite Weltkrieg brachte für Hedwig Siebert Angst, Bomben und Vertreibung. Sie hat zur Verwandtschaft in Fichtelgebirge flüchten und in der fremden Stadt eine Tante suchen müssen. Im Zeitalter von Handy und Internet muss das heute jungen Leuten wie eine unlösbare Aufgabe vorkommen.

Damals war alles anders. Auch die Arbeit sei mehr Schufterei gewesen als heute, meint die 100-Jährige. Sie habe eine Zeit lang in einer Fabrik bei der VDO gearbeitet. Da musste ich Kupferdraht auf eine Spule wickeln. Das war ein hauchdünner Faden und der ist ab und zu gerissen. Akkordarbeit. „Aber ich hab es immer wieder hingekriegt“, sagt Hedwig Siebert stolz. Sie strahlt Gelassenheit und Ruhe aus, so als könne sie in einem langen Leben, in dem historisch und privat so viel passiert ist, nichts mehr erschüttern.

Immer wieder kommen die Worte „der Karl“ über ihre Lippen. Das sei ihr Schatz gewesen. Gemeinsam haben Hedwig und Karl Siebert eine Tochter. Sie wohnt jetzt wie ihre Mutter im Kursana Domizil in Sprendlingen, wo sich beide wohlfühlen und froh sind, dass sie so viel Zeit miteinander verbringen können. „Der Karl“ habe ihr damals den Hof gemacht. „Er hat für mich geschwärmt.“ Das sei wundervoll gewesen. Einmal habe er ihr eine tolle Lederjacke gekauft. Klingt elegant? „Die war fürs Motorrad“, schiebt Hedwig Siebert nach. Rockerbraut? Das gab es in 1950er Jahre noch nicht. Motoradfahren hatte damals eine andere Funktion und kaum etwas mit dem heutigen Freizeitvergnügen zu tun. Doch Hedwig hielt sich gern an ihrem Karl fest und ließ sich den Wind um die Ohren wehen. An einen Helm dachte seinerzeit noch niemand. „Wir sind mit der 500er BMW nach Hamburg gefahren.“ In den Dörfern, in denen sie Rast gemacht hatten, kamen viele Kinder auf sie zu gerannt, um die BMW zu bestaunen. Eine 500er war damals was.

Ihr Karl war ein ganz besonderer Mann. Der hatte offenbar zwei Leben. Hedwig Siebert bekam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachricht, dass ihr Karl gefallen sei, doch einige Zeit später stand er plötzlich abgemagert vor ihr. Der Irrtum der Wehrmacht löste bei Hedwig Siebert eine Riesenfreude aus.

 

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