Ursula Heitmann geht, wenn das Wetter es zulässt, vor- und nachmittags auf einen Spaziergang. Foto: A. Brecht

 
27.02.2023

Die Hundertjährige, die immer in Bewegung ist

Was haben der Humorist Loriot, die Opernsängerin Maria Callas und die Wahl-Greifswalderin Ursula Heitmann gemeinsam? Alle drei wurden vor einhundert Jahren, 1923, im Krisenjahr der Weimarer Republik, geboren. Den seltenen 100. Geburtstag zu erleben, ist allerdings nur Ursula Heitmann vergönnt. Am Mittwoch, 1. März blickt sie auf zehn Lebensjahrzehnte zurück. Und sie hat den Überblick über ihr gelebtes Jahrhundert keinesfalls verloren.

Heute ist die zierliche und noch rüstige Dame im Kursana Domizil Greifswald zu Hause. Erst vor zwei Jahren ist sie von Ribnitz-Damgarten hierher gezogen. Bis dahin war sie selbständig in den eigenen vier Wänden zurecht gekommen. Auf viel Hilfe ist sie auch jetzt noch nicht angewiesen, aber sie weiß die Vorteile der Senioreneinrichtung zu schätzen - und sie ist näher bei ihrer Tochter, die in Wieck lebt.

Geboren wurde Ursula Heitmann am 1. März 1923 in Kenz, südöstlich von Barth. Mit 15 Jahren verließ sie ihr Elternhaus und arbeitete bei einem Stettiner Pfarrer als Kindermädchen. Während des zweiten Weltkrieges erlernte sie den Beruf der Kinderkranken- und Säuglingsschwester in der Greifswalder Kinderklinik. „Wir haben oft im Luftschutzkeller gesessen und gelernt“, erzählt Ursula Heitmann. Wenn sie jetzt Beiträge über den Krieg gegen die Ukraine verfolgt, kommen ihre eigenen Erinnerungen an die furchtbare Zeit mit Macht wieder zurück. Und die Befürchtung, dass auch der gegenwärtige Krieg noch anhalten wird. „Wir haben damals auch geglaubt, der Krieg wäre schnell wieder vorbei...“

Nach der Ausbildung folgte für Ursula Heitmann ein praktisches Jahr in Hinterpommern. Sie betreute Neugeborene in der Häuslichkeit. „Wenn die Arbeit der Hebamme aufhörte, kümmerten wir uns weiter.“ Doch diese Zeit endete jäh. Über Nacht hieß es Koffer packen und flüchten Richtung Westen. Ursula Heitmann wurde für einen Säuglingstransport eingeteilt. In einem Bus war ein stationäres Säuglingsheim eingerichtet, mit dem sie schließlich Ende 1944 in Lubmin landete. Wenig später brauchte sie selbst Hilfe, erkrankte schwer, war lange im Krankenhaus und konnte nicht arbeiten. Ihre beiden Brüder hatte sie an den Krieg verloren. Der jüngere, im Januar 1945 gerade 18 geworden, ist noch kurz vor Kriegsende eingzogen worden und gilt seitdem als vermisst.

Die Nachkriegszeit verbindet Ursula Heitmann mit einem permanenten Hunger-Gefühl. Inzwischen war sie wieder weiter westlich heimisch geworden, hatte in Rostock an der Abendschule noch die große Krankenpflege absolviert, konnte nun alle Altersgruppen pflegen. 1948 heiratete Ursula Heitmann, 1950 wurde ihre Tochter geboren. Lebensort war Damgarten geworden.

Nachdem sie sich lange um ihren kranken Mann gekümmert hatte, engagierte sich Ursula Heitmann nach dessen Tod 1987 als Betreuerin bei der Ortsgruppe Damgarten der Volkssolidarität und erkundete mit Gruppen nach 1989 viele europäische Länder. „Ich verbinde damit viele schöne Erlebnisse, ich kann gar nicht sagen, wo es mir am besten gefallen hat,“ sagt Ursula Heitmann. „Wichtig war immer, dass ich in Bewegung war.“

Und das ist bis heute so geblieben. Zwei mal musste die hochbetagte Dame noch in ihrem zehnten Lebensjahrzehnt nach einem Oberschenkelhalsbruch wieder auf die Beine kommen. Bis zum heutigen Tag kann man ihr – wenn das Wetter es erlaubt – vormittags und nachmittags jeweils bei einem etwa einstündigen Spaziergang mit ihrem Rollator begegnen. Bis sie 90 war, fuhr sie sogar noch mit dem Fahrrad.

Dass sie einmal so alt werden würde, hätte Ursula Heitmann nicht gedacht: „Früher war ja 80 schon ein hohes Lebensalter.“ Wie ihr das gelungen ist? Sie hat kein Patentrezept. „Ich habe ein ganz normales Leben geführt“, meint sie bescheiden. Vielleicht doch ein kleiner Tipp: „Man muss immer wieder seinen inneren Schweinehund überwinden.“ Sie hat das Leben genommen, wie es kam. Und hat auch noch mit 98 Jahren im Kursana Domizil ihren Platz gefunden. Sie beteiligt sich gern an den Aktivitäten. „Frau Heitmann ist meist bei unseren Angeboten dabei, sie spielt gern Karten und macht mit bei der Tanzgruppe, die kleine Choreographien einstudiert“, erklärt Andrea Feltz, die Leiterin der Sozialen Betreuung im Greifswalder Kursana Domizil.

Ihrem besonderen Geburtstag sieht Ursula Heitmann offensichtlich recht ruhig entgegen. Die Familie wird am Wochenende zusammenkommen mit Tochter, zwei Enkeln und drei Urenkeln und einer großen Schar an Nichten und Neffen sowie deren Nachkommen. „Viele habe ich sehr lange nicht gesehen“, freut sich Ursula Heitmann. Und auf noch etwas freut sich die hochbetagte Dame: auf ihren 101. Frühling und die wieder länger werdenden Tage.

 

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