Zwei, die sich gut verstehen: Justin Blacharczyk mit Bewohner Zbigniew Langkamer. Copyright: Kursana

 
08.10.2015

„Hier erlebe ich gelebte Geschichte.“

Der 15-jährige Justin Blacharczyk engagiert sich im Kursana Domizil Billstedt als jüngster ehrenamtlicher Mitarbeiter.

Als der 15-jährige Justin Blacharczyk im Kursana Domizil Billstedt das Zimmer von Zbigniew Langkamer betritt, geht ein strahlendes Lächeln über das Gesicht des polnischen Bewohners. Umgehend schaltet der 61-Jährige das Fernsehgerät aus. Im Nu ist eine angeregte Unterhaltung mit dem jüngsten ehrenamtlichen Mitarbeiter des Hauses in Langkamers Muttersprache polnisch in Gang. Denn auch die Familie des Jugendlichen hat ihre Wurzeln in Polen, Justin ist zweisprachig aufgewachsen. „Wir sprechen über Musik und Fußball und können viel miteinander lachen“, sagt Justin Blacharczyk. „Am liebsten mag ich es, wenn Herr Langkamer aus seinem Leben erzählt. Davon kann ich am meisten lernen.“

Drei Monate ist es her, dass der Schüler der zehnten Klasse der Stadtteilschule Mümmelmannsberg im Domizil sein einwöchiges Sozialpraktikum absolvierte. Geschichten aus dem Pflegealltag kannte er von seiner Mutter Agnieszka, die im Haus als Pflegeassistentin arbeitet. Doch er selbst hatte früher kaum Kontakt zu alten Menschen. „Ich beurteile niemanden nach seinem Alter oder seiner Nationalität“, sagt Justin Blacharczyk. „Für mich zählt allein der Mensch. Da ich hier so viel Spaß hatte, wollte ich mich gern weiter an einem Nachmittag in der Woche im Domizil sozial engagieren. “

Toleranz wurde in Justin Blacharczyks Familie immer groß geschrieben. Der Teenager ist in der niedersächsischen Kleinstadt Helmstedt aufgewachsen und als Zehnjähriger nach Hamburg gezogen. „Eine meiner ersten Erinnerungen an Hamburg ist, dass meine Eltern mit mir den Christopher Street Day besucht haben“, sagt er lachend. „Ich sollte die bunte Vielfalt der Menschen kennenlernen. Außerdem leben bei uns in Mümmelmannsberg Leute aus dreißig Nationen, allein in meiner Klasse sind 50 Prozent türkischer Abstammung. Da muss man schon tolerant miteinander umgehen.“

In seiner Klasse ist Justin Blacharczyk mit mehreren Einsen im Zeugnis einer der besten Schüler. Mathe und alle naturwissenschaftlichen Fächer liegen ihm besonders, später möchte er einmal Informatik studieren. Politik und Geschichte bezeichnet der Teenager als sein großes Steckenpferd. „Da sitze ich hier an der Quelle. Klar kann man im Internet über den Zweiten Weltkrieg nachlesen, aber hier erlebe ich gelebte Geschichte“, erzählt er begeistert. Zusammen mit Betreuungskraft Angelika Wilhelmi hat er schon mit den Bewohnern gekocht, an Spiele- und Bewegungsrunden teilgenommen und bei Ausflügen mit angepackt. Doch seine Höhepunkte sind die Nachmittage mit Biographiearbeit, wenn die alten Menschen von früher erzählen. „Viele sind am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Osten geflüchtet. Sie erzählen von ihren Ängsten, von ihrer unglaublichen Armut, aber auch von der Entschlossenheit, mit der sie sich von Null auf eine neue Existenz aufgebaut haben“, sagt Justin Blacharczyk. „Dadurch kann ich besser verstehen, was die Flüchtlinge heute antreibt. Und ich begreife, dass wir uns alle dafür engagieren müssen, um Kriege zu verhindern.“

Und noch eine weitere Erfahrung hat Justin Blacharzyk, der sich mit PC und Smartphone virtuos in der virtuellen Welt zu bewegen weiß, in der Senioreneinrichtung schätzen gelernt: Gemeinsame Zeit mit alten Menschen ist ein mit allen Sinnen intensiv gelebter Augenblick. „Ich finde es gut, auch in der Zeit mit Freunden das Smartphone öfter mal beiseite zu legen. Das Beisammensein ist dann intensiver“, sagt er.

Für die Pflege- und Betreuungskräfte im Kursana Domizil ist ihr jüngster Ehrenamtlicher ein Gewinn. „Unsere Bewohner genießen die Zeit mit ihm, weil er ihnen so gern zuhört“, meint Betreuungskraft Angelika Wilhelmi. „Justin bringt Leben ins Haus und hat durch seine offene, herzliche Art schon einige verschlossene Bewohner aus der Reserve gelockt.“  Und auch Zbigniew Langkamer, der früher als wortkarg galt und kaum sein Zimmer verließ,  lässt sich jetzt öfter einmal bei den Veranstaltungen im Haus blicken.

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