Julia Hoechst möchte noch lange für andere Menschen da sein können, sagte sie an ihrem 100. Geburtstag.

 
04.11.2019

„Glück bedeutet, für andere da sein zu können“

Königstein. Besser ein Leben voller Glück, Liebe und Leid, als eine einsame und sinnlose Zeit. Dieser Spruch klingt Julia Hoechst oft im Ohr, wenn sie in diesen Tagen aus einem besonderen Anlass an ihr bewegtes und langes Leben zurückdenkt. Sie hat beide Seiten der Medaille kennengelernt. „Ich durfte viele schöne Tage genießen, habe aber auch erfahren müssen, was Leid bedeutet“, sagt sie. Heute überwiegt das Glück. Die Königstädterin ist dankbar und zufrieden. Am 31. Oktober feierte sie in der Kursana Villa in der Bischof-Kaller-Straße ihren 100. Geburtstag.

Das „Kölsch Mädche“ ist in der Karnevalshochburg am Rhein aufgewachsen und, als es im Alter allein zuhause nicht mehr so gut ging, in die Nähe ihres Sohnes in die Komfort-Senioren-Einrichtung nach Königstein gezogen, wo sie sich seit rund eineinhalb Jahren zuhause fühlt. Ihr Verstand ist klar und mit ihrem guten Gedächtnis erinnert sie eher an eine junge Frau, die nichts vergessen hat, denn an eine 100-Jährige.

Alle wichtigen Lebensdaten hat sie sofort parat. Ohne lange nachzudenken, sagt sie: „Mein Mann und ich haben uns am Heiligabend 1942 verlobt und am 20. Februar 1943 war die Hochzeit. Mein Mann kam 1946 aus der Gefangenschaft zurück. Unser Sohn ist am 10.10. 1947 geboren.“ Und seit wann wohnt sie in der Kursana Villa? „Ich bin am 23. März 2018 hier eingezogen.“ Noch Fragen?

Hinter den Zahlen stecken Geschichten, die das Leben geschrieben hat. Bombenangriffe auf Köln, die sie als junge Frau in Luftschutzkellern überstanden hat. Nebenan schlug eine Bombe in ein Haus ein, drei Menschen wurden verschüttet. In den Kellern war es eng. „Zu viele Menschen, ich habe seit diesen Nächten Platzangst“, sagt Julia Hoechst. Zu ihren leidvollen Erfahrungen gehörte auch der Tod des Bruders, der in jungen Jahren im Rhein ertrunken ist. Einmal sei sie nach einem Darmdurchbruch fast gestorben, wenn ihr Sohn sie nicht sofort ins Krankenhaus hätte bringen lassen.

Ihr Gesicht bekommt wieder ein Strahlen, als sie von ihrem verstorbenen Mann erzählt. Der Sport hat die Beziehung der beiden in Bewegung gebracht. Sie habe als chemisch-technische Fachkraft gearbeitet. Ihr Mann sei ihr Chef gewesen, erzählt sie.

Als sie sich noch nicht kannten und sie ihn einmal um ein paar Tage Urlaub bat, weil sie mit dem Fahrrad von Köln zu einem Sportfest nach Heidelberg fahren wollte, sagte er Ja „und hat mich dann gleich gefragt, ob ich denn auch Tennis spiele.“ Julia Hoechst war eine leidenschaftliche und vielseitige Sportlerin. Turnen, Leichtathletik – „ich bin die 100 Meter in 12,5 Sekunden gelaufen“ – und zum Glück auch Tennis gehörten zu ihren Lieblingsdisziplinen. Aus der ersten Begegnung am Netz ist ein lebenslanges Match geworden, das beide glücklich gemacht hat.

„Und jetzt der 100. Geburtstag. Hat die Jubilarin ein Rezept fürs Alt werden? Sport treiben und in Bewegung bleiben, das sei entscheiden, sagt sie. „Ich musste früher auch mal eine Stunde zu Fuß zur Arbeit latschen“. Neugierig bleiben, ist ihr ebenso wichtig. „Ich interessiere mich für vieles und will immer lernen“, sagt die ältere Dame, auf deren Tisch im Apartment ein Heft mit Kreuzworträtseln und der „Spiegel“ liegen. Was bedeutet für eine Hundertjährige Glück? „Ich hab` was gegen Ungerechtigkeit. Ich bin glücklich, wenn ich anderen Menschen helfen kann“, sagt die Vorsitzender des Einrichtungsbeirates der Kursana Villa. In diesem Gremium setzt sie sich für die Interessen der Bewohnerinnen und -bewohner ein.

Julia Hoechst hat das Prinzip der christlichen Nächstenliebe verinnerlicht. Spielt der Glaube für sie auch eine Rolle? An der Wand in ihrem Wohnzimmer hängt der gekreuzigte Jesus. Darauf angesprochen muss die Katholikin lachen. „Das Kreuz haben mein Mann und mein Sohn beim Angeln in Bad Reichenhall aus dem Fluss gezogen. Ich habe es in einer Schnitzschule aufarbeiten lassen und nie mehr aus den Augen verloren.“ Und dann spricht sie wieder vom Glück, das man verdoppeln könne, wenn man es teile. Gibt es einen Wunsch zum zehnten runden Geburtstag? „Ich will noch lange für andere da sein“, sagt Julia Hoechst.

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