Direktorin Marianne Göttlicher bei der Verabschiedung im Kursana Domizil Potsdam; Foto: Steffen Raddatz

 
04.05.2017

Marianne Göttlicher, die Frau mit dem großen Herz und den offenen Ohren, geht von Bord

Ihr komplettes Berufsleben galt der Pflege von kranken und alten Menschen in Potsdam. Mit 63 Jahren geht Marianne Göttlicher, die kleine Frau mit dem großen Herzen, nun in Rente. Zuletzt hatte sie zehn Jahre lang als Direktorin das Kursana Domizil Potsdam auf- und ausgebaut. Nach der Abschiedsfeier gönnte sie sich erstmal einen Urlaub im Süden. Ein Porträt.

Marianne Göttlicher wurde 1954 in Potsdam geboren. Nach der Schule hatte sie eine gänzliche andere Karriere im Sinn als die im Pflegeberuf. Sie begann Schauspiel zu studieren. Als sie ihren Mann kennenlernte und schwanger wurde, brach sie das Studium ab. Sie jobbte als Verkäuferin in einem Schallplattenladen, in der Pferdepflege, in der man sie fast noch zu einer Laufbahn als Jockey überredet hätte und sogar als Darstellerin in dem DEFA-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“.

Sie arbeitete als Pflegehelferin und qualifizierte sich zur examinierten Krankenschwester. 15 Jahre lang war sie Gemeindeschwester, bis es nach der Wende keine Gemeindeschwestern mehr gab. Dann trat das Deutsche Rote Kreuz an sie heran mit der Frage, ob sie eine Sozialstation aufbauen wolle. Sie wollte. Neben Ausbildung und Beruf versorgte Marianne Göttlicher ihre beiden Kinder - weitestgehend allein. Ihr Mann Heinz, Kameramann beim MDR in Leipzig, war beruflich viel unterwegs.

Doch über Dinge wie Doppelbelastung will die geschäftige Frau von nur 1,50 Meter Körpergröße nichts wissen. „So schwer war es jetzt auch nicht“, sagt sie lapidar. Nichts scheint für Marianne Göttlicher wirklich schwierig gewesen zu sein: Nicht die Fliegerbomben in Potsdam, derentwegen das Kursana Domizil gleich dreimal in den vergangenen zehn Jahren evakuiert werden musste. Sie gestaltete die Räumung so, dass die Senioren an einen Ausflug glaubten.

Schwierig auch nicht die vielen Fragen, Sorgen und Hilfegesuche von Bewohnern und Mitarbeitern in allen nur erdenklichen Lebenssituationen. Sprechzeiten gab es bei Marianne Göttlicher nie. „Wenn jemand ein Problem hat, soll er dann kommen, wenn er es hat“, sagt sie. Egal ob ein Mitarbeiter ein nicht dienstliches Problem hatte oder eine an Demenz erkrankte Bewohnerin zweimal am Tag berichtete, ihre Jacke sei ausgetauscht worden – die Direktorin hatte für alles offene Ohren, einen Rat oder einfach ein freundliches Wort. „Jeder hat andere Probleme, aber alle muss man ernst nehmen“, sagt sie. „Man muss jeden abholen, wo er gerade ist.“

Mit dieser Einstellung zum Beruf und zum Leben hat Marianne Göttlicher auch ihr Umfeld geprägt, zum Beispiel ihre Tochter Jana Wendel (42), die als Pflegedienstleiterin arbeitet, oder die Unternehmenskultur im Kursana Domizil. „Das ist der Erfolg, den unser Haus ausmacht – dass wir alle an einem Strang ziehen“, sagt sie. Als sie am 1. April 2007 die Leitung des neuen Domizils übernahm, setzte sie all ihre Energie in den Aufbau. Die noch fehlende Pflegedienstleitung übernahm sie selbst, Abende und Wochenenden verbrachte sie an ihrer Arbeitsstätte. Sie etablierte Strukturen, fand die richtigen Mitarbeiter und setzte auf Ausbildung. 33 Auszubildende haben in ihrer Dienstzeit ihre Lehrjahre durchlaufen. Heute hat das Kursana Domizil 107 Bewohner und 52 Mitarbeiter.

Der Pflegeberuf ist für die ausgeschiedene Direktorin zur Berufung geworden. „Das klingt vielleicht ein bisschen blöd“, leitet sie ein, „aber für andere da zu sein, ist schon etwas Besonderes.“ Für andere da zu sein, hatte für Marianne Göttlicher viele Facetten. Angefangen bei der hohen Qualität ihres Hauses, über den Einsatz ihres jahrzehntelang aufgebauten Netzwerks im sozialen und medizinischen Bereich Potsdams für ihre Bewohner, bis hin zum Kaninchengehege, das sie zur Freude der Senioren bauen ließ. Alles richtete sie darauf aus, das Leben der älteren Generationen lebenswert zu gestalten.

Jetzt möchte sie sich mehr den jüngeren Generationen widmen und mehr Zeit für ihre zwei Kinder und vier Enkelkinder zwischen eineinhalb und 18 Jahren haben. Außerdem warten ihr Garten auf sie und zwei Katzen. Den Wunsch, mit ihrem Mann gemeinsam viel zu reisen, begann sie am Tag nach der Abschiedsfeier mit einer dreiwöchigen Portugalreise umzusetzen. Vielleicht wird Marianne Göttlicher ihre Arbeit vermissen, aber zwei Jahre früher in Rente zu gehen, hat sie bewusst entschieden. „Ich möchte es noch ein bisschen genießen können“, sagt sie. Ganz sicher wird die Direktorin im Domizil vermisst werden. „Ach, da werden andere kommen“, sagt sie nur und lächelt. „Im Prinzip habe ich doch nur meine Arbeit gemacht.“

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