Angelika Rickmann wird auch Weihnachten für die Bewohner da sein, Foto: Jungeblodt

 
15.12.2020

Als ob es die eigenen Eltern wären

Wenn wir alle Weihnachten in diesem Jahr anders feiern, als gewohnt, dann trifft das vor allem die Bewohner in Pflegeheimen schwer. Doch auch die Mitarbeiter leisten dort schon das ganze Jahr über Außergewöhnliches. Jetzt sind sie zudem als Weihnachtsengel gefragt, so wie Angelika Rickmann.

Die Schwedterin ist einige berufliche Umwege gegangen, bevor sie ihre wirkliche Berufung als Leiterin der sozialen Betreuung im Kursana Domizil   gefunden hat. Die 55-Jährige ist ausgebildete Anlagentechnikerin und hat nach der Wende eine Umschulung zur Steuerfachgehilfin gemacht. Doch weder die Arbeit an Maschinen noch die mit Akten sind wirklich ihr Ding.

Stattdessen kann die Mutter dreier Töchter sehr gut mit Menschen umgehen, kann zuhören, ist sehr empathisch und stets darauf bedacht, dass es allen gut geht. Deshalb fühlte sie sich als Aushilfe im Kindergarten wohl, wo sie nach der Geburt ihrer ersten Tochter Franziska arbeitete und während ihrer Zeit in der Heimatstube Vierraden und im Tabakmuseum. Doch im Kindergarten war keine Ausbildung möglich und nach der Eingemeindung von Vierraden nach Schwedt war für sie kein (Arbeits)platz mehr in den Heimatstuben.

Nicht zu arbeiten war für die nur 1,63 m große Frau keine Option. Zudem war sie sich sicher, das Richtige für sich noch zu finden.

Von der Pflegehilfskraft zur Leiterin Betreuung

Im Jahr 2001 sollte in Schwedt ein Pflegeheim gebaut werden. Vielleicht wäre es das? Rickmann bewarb sich und erinnert sich noch heute an das Vorstellungsgespräch: „Das erzähle ich immer gern. Es fand nämlich im Bauwagen statt“, lacht sie. Die Gründungsdirektorin stellte sie als Pflegehilfskraft für täglich vier Stunden ein. Außerdem sollte sie in der sozialen Betreuung aushelfen. Aus den vier Stunden wurden sechs und irgendwann eine Stelle auf der Demenzstation. Das habe sehr viel Kraft gekostet, vor allem mental, erinnert sich Rickman

Vielleicht würde sie heute nicht mehr im Kursana arbeiten, wenn Direktorin Elisabeth Mirow im Mai 2014 auf der Suche nach einer stellvertretenden Leiterin der Betreuung nicht auch Rickmanns Personalakte durchgeblättert hätte. „Frau Mirow hat gesehen, dass ich schon einmal in der Betreuung geholfen habe und mich angesprochen“, erzählt Rickmann. Sie sei ihr immer noch sehr dankbar dafür.

Elisabeth Mirow wiederum musste ihre Entscheidung nie bereuen:“ Menschen mit einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein, die dazu auch noch methodische, soziale und personale Fähigkeiten besitzen sind besonders selten. Frau Rickmann ist so jemand und ich bin sehr froh, sie bei mir im Haus zu haben."

Das ganze Team ist wichtig

Auf die Frage, warum sie nicht selbst mal die Initiative ergriffen habe, schüttelt sie mit dem Kopf. Das sei nicht ihre Art, so vorneweg zu sein. Ihr Mann Jürgen fasst es in zwei Worten zusammen: zu bescheiden. 

Das würden sicher auch ihre acht Mitarbeiter in der Betreuung, die sie inzwischen seit 2016 leitet, unterschreiben. Ihre Chefin wolle einfach nie im Vordergrund stehen. Für ihre Truppe und vor allem ihre Stellvertreterin Anke Krause, hat sie nur lobende Worte und kann auf Anhieb genau sagen, welche besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten jeder hat. Da sind die Dekorateurin, der Bastler, der Musiker oder die, die alle erdet.

„Loben ist wichtig. Ich kann keinen extra bezahlen, schmeiße aber gern mal eine Runde Pralinen und zu Weihnachten bekommt jeder eine Kleinigkeit geschenkt“, berichtet Rickmann.

Für die Arbeit in der Betreuung hat Rickmann keine spezielle Ausbildung absolviert. Das Meiste hat sie sich selbst erarbeitet, viele gelesen, abgeschaut und überlegt, was gut und richtig sein könnte für die Bewohner. 

Im Vordergrund stehen die Bewohner

Wenn man sie fragt, ob das nicht ein seltsames Gefühl sei, zwei abgeschlossene Ausbildungen zu haben und dennoch eine Art Hilfskraft zu sein, wehrt sie ab: „Mir ging es nie um mich. Ich will für die Bewohner da sein, ihnen Freude vermitteln auch mal Zeit haben für ein längeres Gespräch und menschliche Nähe.“ Daraus ergibt sich ihre oberste Prämisse für die Arbeit in der Betreuung: „Immer denken, das könnten meine Eltern sein.“

Von allen Alltagssorgen, die auch Rickmann kennt, dürften die Bewohner nichts mitbekommen.

Betreuung in einem Pflegeheim bedeutet zweimal am Tag eine speziell auf jeden Bewohner, seine Interessen, seinen Gesundheitszustand und seine kognitiven Fähigkeiten zugeschnittene Beschäftigung – in großen und kleinen Gruppen oder als Einzeltherapie. Mit jedem Bewohner, der neu in das Haus Andreas in der Robert-Koch-Straße kommt, sprechen die Betreuungsmitarbeiter beim Einzug und stellen einen entsprechenden Beschäftigungsplan gemeinsam zusammen.    

Zum Beschäftigungsalltag im Heim gehören auch Ausflüge, Kontakte zu Kindergärten, Gottesdienste, gemeinsame Feiern mit den Angehörigen. Dass all das jetzt seit Monaten nicht mehr möglich ist, macht der Leiterin der Betreuung sehr zu schaffen. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie überlegt, was man machen könnte, um ihren Bewohnern so viel Normalität, soviel gewohnten Alltag wie möglich zu bieten und dabei alle Corona-Regeln einzuhalten. Beschäftigungen in kleinen Gruppen, wie das Heimwerken der Männer werden unbedingt weitergeführt. Größere Veranstaltungen, wie zum Beispiel der monatliche Tanztee, finden abwechselnd  als kleinere Variante auf jedem Wohnbereich statt. Und wenn die gewohnte Vorleseoma nicht ins Haus darf, dann liest Oma Rickmann eben selbst vor. Das ist ein größerer Aufwand und kostet Kraft, ist Rickmann und ihrem Team aber wichtig.

Das schwerste an den Monaten mit Corona waren für Angelika Rickmann die Angehörigenbesuche im ersten Lockdown. Die Organisation ließ sich irgendwie lösen. Doch sie mussten bei jedem Besuch dabei sein, aufpassen, dass alle Regeln eingehalten werden. „Dass man Mutter oder Vater nicht umarmen durfte…“, hier kann sie nicht weitersprechen, braucht eine kurze Pause und verdrückt die Tränen, „das war unerträglich für mich.“ Aber Vorgaben seien nun einmal Vorgaben und das Heim sei gut durch die schwere Zeit gekommen, ohne einen Corona-Fall, weil man sich an all diese Vorgaben gehalten habe.

Dass sie das alles sehr viel – auch mentale – Kraft gekostet habe, verhehlt Rickmann nicht. Die zweieinhalb Wochen Urlaub bis sie direkt zu Weihnachten wieder im Dienst und für ihre Bewohner mit Zeit und Zuwendung da ist, tun ihr deshalb im Moment sehr gut.

Angelika Rickmann hat in der Betreuung im Kursana Domizil das beruflich Richtige für sich gefunden. Wenn es dafür noch eines Beweises bedarf, so liefert sie den mit der Antwort auf die Frage, was sie tun wird, wenn die Pandemie vorbei sein wird. „Ein großes Fest für die Bewohner organisieren“, kommt es ohne zu zögern.

 

 

 

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