Ein Gewinn für beide Seiten: Jugendliche der Merianschule lehren Senioren das Recherchieren und Arbeiten am PC.

 
02.11.2015

Schüler unterrichten Senioren am PC

Seligenstadt. Im Computerraum der Merianschule ist heute alles anders. Die ältere Generation sitzt in der ersten Reihe vor den Bildschirmen und Teenager unterrichten sie. Verkehrte Welt – und neue Welt. Vier Senioren des Kursana Domizils Seligenstadt überschreiten eine unsichtbare Grenzen.

Die beiden Frauen und Männer aus der Pflegeeinrichtung im Griesgrund drücken wieder die Schulbank und lassen sich noch dazu etwas von Jugendlichen sagen, die fast 70 Jahre jünger sind als sie. Doch das Alter spielt bei der Computerschulung keine Rolle. Die Begegnung von Alt und Jung in der digitalen Welt ist ein Gewinn für beide Seiten.

Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt, sagte der chinesische Philosoph Laotse. Eleonore Doerre ist 77 Jahre alt und einen wichtigen Schritt gegangen. Die Bewohnerin des Kursana Domizils hat sich für den Computer-Kurs in der Merianschule angemeldet. Das war wie ein Sprung ins kalte Wasser, denn für die ehemalige Inhaberin eines Friseursalons waren PC und Maus bis dato ein Buch mit sieben Siegeln. 

Aller Anfang ist schwer. In der ersten Stunde sollen die Teilnehmer des Unterrichtes ein Gefühl für die Maus und die Bewegung des Cursors bekommen. Da wird die drei Zentimeter kleine Distanz zwischen dem Cursor und dem Buchstaben e des Internet-Explorers auf dem Bildschirm manchmal wie eine große Weltreise, die zehn Sekunden dauert. „Gleich hab´ ich´s“, sagt Eleonore Doerre und es macht Klick. Die Google-Seite erscheint und den Senioren steht die Tür zur neuen Welt des Internets offen.

Die beiden Schüler Yannic Schmidt und Jil Wagner aus den Klassen 9cR und 9dR unterstützen Lehrerin Svetlana Herz und beweisen, dass sie Geduld haben, wenn es bei den Senioren mal nicht gleich klappt und beispielsweise die Übung zum Verkleinern und Vergrößern von Dokumenten einen Moment länger dauert oder die Maus so ihre Tücken hat. „Ich habe die rechte und linke Maustaste verwechselt“, bittet eine Kurs-Teilnehmerin um Entschuldigung.

„Die beiden Schüler machen das gut“, sagt der 85-jährige Manfred Scheld, gelernter Maler und Lackierer, der die bunte Welt des Internets bereits zuhause auf einem Laptop ausprobiert hat und seine PC-Kenntnisse jetzt im Unterricht vertiefen möchte. Viel Ehrgeiz am Bildschirm entwickelt auch Christel Heck. Die 71-jährige hat früher als Bürokauffrau an der Schreibmaschine gearbeitet und besitzt einen eigenen Laptop. „Ich möchte mein Wissen ausbauen“, sagt die Bewohnerin des Kursana Domizils und ist fest davon überzeugt, dass sie es schaffen wird, die Technik am PC stärker für sich zu nutzen.

Christel Heck geht gern im Internet auf Entdeckungsreise. Im Unterricht unterstützt sie der 14-jährige Yannic dabei. So erfährt er, dass die ältere Dame am PC aus dem Mainhäuser Ortsteil Zellhausen stammt und dort früher mit ihrer Freundin im alten Rathaus Hausaufgaben gemacht habe. Yannic zeigt Christel Heck derweil wie sie ein Bild des Rathauses recherchiert. 

Als nächstes möchte die Seniorin gern Bilder der Tanzgruppe der TGS Zellhausen, wo sie früher Mitglied war, sehen. Apropos Internet-Suche und soziale Medien. Die 75-plus-Generation lernt schnell ein paar neue Vokabeln wie googeln, downloaden, Shitstorm oder liken. Und die jungen Leute erfahren, dass seltsamerweise nicht jede Namens-Recherche im weltweiten Netz zu einem Ergebnis. Wenn Menschen im Alter von über 80 Jahren ihren Namen googeln, taucht nur selten ein Eintrag in facebook, das telefonbuch, peoplecheck oder linked in auf. 

Ganz anders als die Teenager von heute hat das Netz die Alten nicht eingefangen. Sie haben kaum Spuren hinterlassen. Senioren sind oftmals inkognito unterwegs, ein Phänomen, das sich Jüngere mittlerweile wünschen. Manfred Scheld hat aber etwas gefunden, das er bei Google eingegeben hat. Sein Elternhaus in dem Dorf Klein-Gerau im Kreis Groß-Gerau. Der ältere Herr ist fasziniert, dass man wie im Flugzeug auf und ab über die Landschaft und den Ort fliegen kann und sein ehemaliges Zuhause von oben sieht.

Immer wenn die Senioren mehr Wissen über ein Thema suchen, das sie besonders interessiert, steigen Spannung und Ehrgeiz am PC und der Feinmotorik mit der Maus wird eine Höchstleistung abverlangt, weil es schnell gehen soll. Günter Urban, Leiter der Merianschule, lobt die Zusammenarbeit der Haupt- und Realschüler mit dem Kursana Domizil. Der PC-Kurs sei eine Premiere, doch die Kontakte zur Pflegeeinrichtung bestünden bereits seit Jahren, denn im Rahmen des Wahlpflichtunterrichtes besuchen Schüler einmal die Woche Senioren bei Kursana. Durch die Begegnungen von Jung und Alt wird so manches aus dem Geschichtsbuch lebendig. „Beide Seiten erfahren mehr aus dem Leben der Anderen und sie lernen viel voneinander“, sagt Gertraud Rebmann, Direktorin des Kursana Domizils.

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