Edelgard Treisch und ihr Akkordeon

 
03.09.2021

Akkordeon bringt Glücksmomente

Mit ihrem Akkordeon-Spiel macht sich Edelgard Treisch und den Bewohnern regelmäßig einmal im Monat eine Freude - und sie bleibt jung dadurch

Der Gemeinschaftsraum und die Gänge sind eigentlich schon voll besetzt, doch immer noch strömen Bewohner zur fröhlichen Musikstunde.  Dann kommt Edelgard Treisch mit ihrem Akkordeon und sie wird herzlich ungeduldig begrüßt: „Da bist du ja endlich.“

An die 60 Bewohner warten im Kursana Domizil Grimmen auf sie. Ihr schräg gegenüber sitzt ein Paar, dass sie begrüßt, als wäre es die „erste Geige“ in einem Orchester. Kaum ist „Dat du min Leevsten büst“ gesungen, wird sie zu einer Bewohnerin gerufen. Diese schenkt ihr ein Buch „Singe, wem Gesang gegeben“. „Das hat mir meine Tochter für sie gegeben,“ sagt sie. Beifall von den Bewohnern. Und weiter geht’s mit „Herr Pastor sein Koh“.

Edelgard Treisch sieht eine Bewohnerin, diese beginnt zaghaft zu singen. Die Akkordeonistin singt kräftiger und auch die Bewohnerin traut sich mehr. Gut eine Stunde spielen Edelgard Treisch und Inge Schlaak, die sie auf der Mundharmonika begleitet. Es ist auf den ersten Blick nicht auszumachen, wer mehr Freude an dieser Singestunde hat – die Künstlerinnen oder das Publikum? Die beiden machen das seit vielen Jahren ehrenamtlich einmal im Monat. Wobei Edelgard Treisch jetzt einen kurzen Weg zu ihrem Konzert hat. Sie wohnt seit dem Sommer in einer lichtdurchfluteten Wohnung mit Strandkorb auf dem Balkon, die zum Kursana Dominzil gehört. Sie ist aus ihrem großen Haus, dessen Vorzüge sie nicht mehr richtig nutzen konnte, in diese Wohnung gezogen.  Ihre jetzige Nachbarin sagte vor Jahren schon zu ihr: „Du musst dat moken, wenn du noch wat davon hast.“  Nun hat sich Edelgard Treisch dazu entschlossen und rät ihren Freunden: Meldet Euch wenigstens an. Man ist eigenständig, aber im Notfall ist Hilfe da.

Jedes Detail in ihrer Wohnung ist aufeinander abgestimmt, der Balkon ist bunt bemalt und überall schöne Erinnerungen. In einem Schrank sind die Akkordeons ihres verstorbenen Mannes aufbewahrt. Eines hat er von Walter Ulbricht in Oberhof geschenkt bekommen, weil seines nicht so gut klang.  Das Akkordeon begleitete sie ihr ganzes Leben. Die heute 81jährige arbeitete als Unterstufenlehrerin in Leyerhof, ihr späterer Mann Alfons in Grimmen an der Berufsschule als Sportlehrer. Sechs Wochen brauchte es vom Kennenlernen bis zur Hochzeit – und das Instrument war immer dabei. „Sogar auf dem Segelboot,“ erzählt sie. „Aber selbst spielen, habe ich mich nicht getraut“.

Erst 2004 hat Alfons ihr quasi die Pistole auf die Brust gesetzt, als eine Freundin bei ihrem Mann das Instrument erlernen wollte. „Ja, mache ich, aber du musst auch,“ sagte er und hat ihr damit zum Glück verholfen. „Ich hätte nie gedacht, das mir das so viel Freude bereiten würde und“ setzt sie hinzu ,“dass ich anderen damit so viel Freude machen kann.“  2012 wurde ihr Mann schwer krank und lebte im Kursana Domizil. Drei schwere Jahre war sie täglich bei ihm und erlebte die Arbeit der Pflegekräfte hautnah und zollt ihnen höchsten Respekt.  Sie hatte während ihrer Besuche immer das  Akkordeon dabei und spielte für ihren Mann und die anderen Bewohner.  So ist sie nach und nach zur Akkordeonistin des Hauses geworden. Sie erzählt von ganz besonderen Glücksmomenten. „Wenn ich alte Melodien spiele, kommt es schon vor, dass ich Erinnerungen wecke. Einmal dachte ich die Bewohnerin schläft. Und plötzlich gehen die Augen auf und sie sagt: „Kaisersaal, Alfons Treisch“. Im Grimmener Kaisersaal spielte ihr Mann im Orchester zum Tanz. Für wenige Augenblicke konnte Edelgard Treisch in dieser Frau glückliche Zeiten wieder auferstehen lassen.  Andere Schweigsame, die schon lange ihrer eigenen Welt leben, singen plötzlich mit. Wenn Edelgard Treisch mal zwei, drei Instrumental spielt, ruft schon mal ein Bewohner: „Du müsst mitsingen!“ Es sind wahrlich fröhliche und ungezwungene Musikstunden.

Zur Übersicht