Feine Farbabstufungen machen aus Ursel Baders Mandalas kleine Kunstwerke. ©Kursana

 
18.02.2021

Mit Kreativität durch alle Krisen

Die Malerei half Ursel Bader zeitlebens dabei, schwere Schicksalsschläge zu bewältigen. Im Corona-Lockdown findet die 85-jährige Bewohnerin der Kursana Residenz Hamburg zu ihrem heilsamen Hobby zurück.

Mehr als einen Buntstiftkasten und ihre Mandala-Ausmalbilder braucht Ursel Bader nicht zum Glück. Wenn sie akribisch genau an den Farbabstufungen arbeitet und das filigrane Motiv beginnt, plastisch zu wirken, vergisst die 85-Jährige alle derzeitigen Einschränkungen durch ihre Schmerzen und den Corona-Lockdown. Dann ist da nur Raum für Experimentiergeist, Farbrausch und pure Lebensfreude. „Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und begebe mich mit jedem Bild auf Neuland, weil ich vorher nie weiß, was im Laufe des Prozesses dabei herauskommt“, sagt die Hamburgerin, die erst in der Lebensmitte zur Malerei kam. „Einerseits bin ich ein pingeliger und rationaler Mensch, andererseits habe ich eine sehr emotionale Seite. Das Malen hat mir geholfen, einen Ausgleich zwischen diesen Polen zu finden und manch heftige Lebenskrise zu bewältigen.“

In ihrem Appartement in der Kursana Residenz Hamburg, in dem sie seit fast zwei Jahren lebt, ist Ursel Bader von Kunstwerken aus der eigenen Familie umgeben. Ihr Urgroßvater Friedrich Keller war ein berühmter Maler, der im 19. Jahrhundert erstmals arbeitende Menschen im Steinbruch oder bei Schmiedearbeiten abbildete. Seine Tochter Anne schuf als junge Frau beeindruckende Radierungen und Aquarelle. „Mit 18 Jahren legte sie den Pinsel für immer aus der Hand, weil sie überzeugt war, nie die Qualität des Vaters zu erreichen“, erzählt Ursel Bader, die von ihrer geliebten „Omi“ spielerisch in die Welt der Kunst eingeführt wurde. Nach Abschluss der Volksschule wollte Ursel Bader Kindergärtnerin werden, flog jedoch vor dem Abschluss von der Schule. „Ich schrieb in einer Arbeit über Goethes Drama `Torquato Tasso´, dass ich es nicht ausschließen könne, im Leben zu tun, was mir gefällt. Auch wenn es sich nicht ziemt“, erinnert sie sich lächelnd. „Mit dieser Auffassung sei ich nicht geeignet, Kinder zu erziehen, hieß es.“

Nach dem Besuch der Handelsschule arbeitete Ursel Bader als Sekretärin unter anderem beim Musikproduzenten Polydor und jobbte als Model auf Laufstegen. Sie heiratete, bekam zwei Töchter und engagierte sich ehrenamtlich in der Seniorenbetreuung. Mit Anfang vierzig begann sie, mit den Ölfarben ihrer Tochter zu experimentieren. „Ich habe kein Talent zum gegenständlichen Malen“, sagt sie. „Durch die Faszination für geometrischen Formen bin ich bei der konstruktiven Malerei gelandet. Die strenge Form gibt mir die nötige Struktur, um in ihr meine Begeisterung für Farben ausleben zu können.“ Ursel Bader retuschierte viele Jahre die reliefartigen, abstrakten Werke des israelischen Künstlers Yaacov Agam und kam über diese Arbeit in Kontakt mit Professoren der Kunsthochschule, die sie zur Ausstellung ihrer Werke und zum Kunststudium ermutigen wollten. „Ich mochte nie im Mittelpunkt stehen“, sagt Ursel Bader. „Und ich wollte lieber meinen Weg aus mir heraus selbst entwickeln.“

Ihr kreatives Schaffen gab Ursel Bader Halt, als nach 29 gemeinsamen Jahren ihre Ehe scheiterte und als eine Tochter im Alter von 23 Jahren Suizid beging. Als sie nach einer schweren Krebserkrankung nicht mehr mit Ölfarben arbeiten konnte, begann sie, aus Fundstücken aus der Natur Collagen zu fertigen. Eine einfache Digitalkamera, die sie zum 75. Geburtstag von ihren drei Enkeln geschenkt bekam, begleitete sie im Alter auf ihren Entdeckungstouren durch das Wittmoor, den Duvenstedter Brook und das Rodenbeker Quellental. Sie begann, „Waldgesichter“ zu fotografieren, die sie in Baumrinde und Wurzelwerk entdeckte und 2015 in einer ersten Ausstellung präsentierte. Ihre faszinierenden Fotografien, die den Betrachter zum wachen Blick in der Natur einladen, füllen mittlerweile fünf Bücher. Bei einer Ausstellung ihrer konstruktiven Malerei bekam die Seniorin nicht nur im hohen Alter eine Menge Anerkennung, sondern konnte auch einige Bilder verkaufen.

Nach einem Sturz und mehreren Folgeerkrankungen schien es Ursel Bader, als würde im vergangenen Jahr die kreative innere Quelle versiegen – bis sie in der Residenz bei einem Beschäftigungsangebot den Impuls bekam, sich den Mandalas zu widmen. „Mein ganzes Leben scheint mir im Nachhinein wie eine Schlitterpartie auf glattem Eis“, überlegt sie. „Ich bin in viele Löcher gefallen. Aber es ist mir gelungen, mich immer aus eigener Kraft aus ihnen zu befreien. Wenn man es schafft, das Leben mit all seinen Untiefen anzunehmen, ist es großartig alt zu werden. Weil man innerlich immer stärker wird.“

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