„Basale Stimulation ist eigentlich das, was der gesunde Menschenverstand uns sagt“, vermittelte Kersten Runge den Mitarbeiterinnen der Schulung. Foto: Kursana

 
06.06.2019

Pflegekräfte lernen, mit den Händen zu sprechen

Wenn Menschen in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt sind, kann Basale Stimulation helfen, mit ihnen in Kontakt zu treten und ihr Körperbewusstsein zu stärken. Im Kursana Domizil Siegen haben Pflegekräfte in einer dreitägigen Fortbildung erfahren, welche Möglichkeiten dieser Ansatz für ihre tägliche Arbeit bietet.

Frau Meier weiß nicht, dass sie Beine hat. Sie hat das Gefühl für ihren Körper verloren. Es geht viel um Frau Meier an diesem Tag. Sie könnte auch Frau Mustermann heißen, es gibt sie nicht. Im Grundkurs „Basale Stimulation“ im Kursana Domizil Siegen lernen Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung, wie sie mit kognitiv eingeschränkten Menschen besser umgehen können.

 

Beispiel Aufstehen: Dozentin Kersten Runge, 58, macht es vor. Sie kniet vor einer sitzenden Seminarteilnehmerin und streicht ihr linkes Bein aus. In ruhigen Bewegungen führt sie die Hand vom Knie bis zum Knöchel, immer wieder. „Das hilft Frau Meier, ihr Bein zu spüren und ihm zu vertrauen“, erklärt die gelernte Krankenschwester. Erst danach hilft sie beim Aufstehen. Dabei steht sie eng am Körper der gespielten Seniorin, führt die Bewegung, geht mit ihr mit, als wären beide eins.

 

Menschen, die sich kaum bewegen oder dement sind, nehmen sich und ihre Körpergrenzen immer weniger wahr. Diese Beeinträchtigung der Wahrnehmung wirkt sich auch auf die Psyche aus, führt zu Unsicherheit, auch zu Aggressionen. Basale Stimulation möchte die Sinne schärfen und wieder Orientierung geben. Dies geschieht vor allem über die Berührung, die zugleich Kommunikation ist. Der Professor für Sonderpädagogik Andreas D. Fröhlich hat das Konzept in den 1970er Jahren auf der Grundlage von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt. Bei kognitiv eingeschränkten und pflegebedürftigen Menschen können durch einfache Sinnesreize und körperorientierte Angebote Fähigkeiten reaktiviert und das Wohlbefinden gefördert werden.

 

Selbstkontrolle stärken

 

Beispiel Waschen: Kersten Runge zieht einen Frotteehandschuh an und führt ihn in kreisenden, fast zärtlichen Bewegungen über den Arm einer Teilnehmerin. „Rubbeln vermittelt, dass ich keine Zeit habe“, erklärt sie. Dann üben alle in Zweierteams. Noch besser sei es, präzisiert die Dozentin, wenn sich der Bewohner mit Unterstützung zumindest teilweise selbst wasche. Akustische Reize wie Plätschern machen den Waschvorgang begreifbar. Auch vertraute Gerüche, zum Beispiel eine Seife von früher, helfen. „Knüpfen Sie an Bekanntes an“, rät Kersten Runge. Auch beim Trinken soll die Selbstständigkeit gefördert werden. „Fassen Sie beim Anreichen nicht das Glas an, sondern den Arm und führen Sie diesen mit“, erklärt die Dozentin die nächste Übung. So kann der andere selbst das Tempo bestimmen.

 

„Basale Stimulation ist auch eine Haltung“, sagt Kersten Runge. Es geht darum, sich auf den anderen einzustellen und ihm mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Man versucht, seine Möglichkeiten zu berücksichtigen und ein Gespür für sein Bewusstsein zu entwickeln. „Aber das ist doch ganz natürlich“, bemerkt eine Teilnehmerin. „Richtig“, bestätigt die Dozentin. „Basale Stimulation ist eigentlich das, was der gesunde Menschenverstand uns sagt“.

 

Für die Kursana Mitarbeiter hat sich die Fortbildung gelohnt. Pflegefachkraft Andrea Reh ist vom Nutzen der neuen Erkenntnisse für ihren Arbeitsalltag überzeugt: „Mit kleinen, effektvollen Berührungen kann man viel erreichen“, bringt sie das Gelernte auf den Punkt.

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