Eine 88jährige Bewohnerin wagt ein Tänzchen mit Demenzcoach Graziano Zampolin - Foto: Klang und Leben

 
24.11.2014

Klang und Leben

Das Musikprojekt für Demenzkranke gastierte mit viel Prominenz zum vierten Mal in der Kursana Villa Hannover.

 

Alte Schlager beflügeln die Erinnerung

 

Demenzcoach Graziano Zampolin begrüßt die Bewohner in der Kursana Villa Hannover bereits wie alte Bekannte. Schon das Verteilen der Textblätter zaubert ein Lächeln in viele Gesichter. Zum vierten Mal gastiert das einzigartige Musikprojekt „Klang und Leben“ für dementiell Erkrankte, das Rockmusiker Rainer Schumann (Ex „Fury in the Slaughterhouse“) und Graziano Zampolin vor zwei Jahren gründeten, nun schon in der Seniorenresidenz:  In der Villa im Zooviertel wurde es im August 2013 mit der Auftaktveranstaltung aus der Taufe gehoben. Und hier ziehen die Beteiligten des wissenschaftlich begleiteten Projekts jetzt eine rundum positive Zwischenbilanz. „Wenn ich die Bewohner auf dem Flur treffe, erkennen mich die meisten gleich wieder“, freut sich Graziano Zampolin. „Heute hat mir ein dementiell erkrankter Bewohner sogar erzählt, dass er früher selbst Schlagzeug gespielt hat. Bisher wusste das niemand im Haus von ihm, doch über unsere Musik hat er Zugang zu dieser Erinnerung bekommen.“

„Bravo“, ruft ein Teilnehmer in der Runde begeistert aus, als die Musiker bei der heutigen Veranstaltung mit „Donna Clara“, einem Schlager aus den 1930er Jahren, einen neu einstudierten Titel anstimmen. Sogar Schauspieler Dominique Horwitz, der neben Tennisspieler Nicolas Kiefer und  SPD-Politikerin Doris Schröder-Köpf zu den Ehrengästen des Konzerts gehört, greift sich spontan ein Textblatt und singt mit. Eine Bewohnerin hatte den Schlager vor kurzem in der Runde angestimmt. Angesichts des Ständchens zu ihren Ehren strahlt die 95jährige übers ganze Gesicht und geht im Rhythmus des Liedes mit. Die meisten der dementiell Erkrankten in der Runde singen begeistert mit – ohne Blick auf das Textblatt.

„Es ist immer wieder ein Wunder zu erleben, wie unsere Zuhörer durch die Musik aufblühen“, meint Rainer Schumann. „Jemand, der nicht mehr spricht, singt plötzlich ganze Strophen. Oder ein Mann, der vergessen hat, dass er einmal Gitarre spielen konnte, hat bei uns wieder zum Instrument gegriffen. Solche Momente bewegen mich sehr.“

Auch Pflegedienstleiterin Melanie Heuerding-Josephowitz kann vom positiven Effekt der Musik in den beiden Wohngruppen für dementiell Erkrankte berichten. „Seit dem ersten Konzert im August 2013 haben wir das Projekt im Haus fortgesetzt“, erzählt sie. „Seither musizieren wir einmal wöchentlich in den Wohngruppen und singen eine Stunde lang ein bestimmtes Repertoire an Liedern. Dabei blühen die Bewohner auf, sie reden mehr als sonst und im Anschluss zeigen sie mehr Appetit. Man kann sagen, dass sich bei den leichteren Fällen von Demenz durch das regelmäßige Programm der Gesundheitszustand stabilisieren kann.“

Für „Klang und Leben“ füllt die Pflegedienstleiterin nach jeder Veranstaltung einen Evaluationsbogen über das Befinden jedes Teilnehmers aus. Prof. Eckart Altenmüller von der Musikhochschule Hannover, der das Projekt seit der ersten Stunde begleitet, wird die Ergebnisse wissenschaftlich auswerten. „Jeder Mensch hat einen Soundtrack seines Lebens. Bestimmte Erlebnisse wie die erste Liebe oder schöne Reisen sind meist mit bestimmten Liedern verbunden“, erzählt Graziano Zampolin. „Wir haben schon viele positive Beispiele sammeln können, wie Musik die Gefühle weckt und die biografische Erinnerungsarbeit nachhaltig unterstützen kann.“ Im kommenden Jahr wollen die Macher von „Klang und Leben“ in Hannover eine Akademie gründen und ihre Erfahrungen an Menschen in sozialen und pflegerischen Berufen weitergeben.

Am Ende der Veranstaltung betrachtet der Bewohner, der früher selbst Schlagzeug gespielt hat,  interessiert das Cajon, das Rainer Schumann bei den Konzerten als mobiles Schlagzeug nutzt. Vorsichtig nimmt er auf der Kiste Platz und probiert die Fußtrommel aus. Als er seinen Rhythmus gefunden hat, strahlt der 73jährige übers ganze Gesicht und murmelt „gut, gut“. Wenig später fachsimpelt er mit Rainer Schumann – vom ehemaligen Jazz-Schlagzeuger zum Rockdrummer – über den Effekt einer Snaredrum-Trommel. „Musik machen ist wie Rad fahren – man kann es nicht verlernen“, meint Rainer Schumann zum Abschied. Und hat ein weiteres kleines Wunder für die positive Wirkung von „Klang und Leben“ sammeln können.

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