Klang und Leben

Das Musikprojekt „Klang und Leben“ für Menschen mit Demenz gastierte mit Ehrengast Gerhard Delling in der Kursana Villa Reinbek.

Alte Schlager wecken Erinnerungen

Als Demenzcoach Graziano Zampolin die 95jährige Annelise Hänel um einen Tanz bittet, zögert die alte Dame keine Sekunde: Beschwingt bewegt sich die rüstige Seniorin mit dem Musiker durch das Restaurant der Kursana Villa Reinbek. „Sag mir quando, sag mir wann…“, singt Oliver Perau dazu ins Mikrofon und ein gutes Dutzend Senioren stimmt ohne Blick auf das Textblatt mit ein. „Sag mit quando, quando, quando…“ Die Stimmung ist ausgelassen, der Schlager aus den frühen 1960er Jahren erinnert die Bewohner der Senioreneinrichtung an ihre Jugendzeit und Italien-Urlaube im VW-Käfer. Auch nach Jahrzehnten sitzt jede Zeile – und das, obwohl einige von ihnen mittlerweile dementiell erkrankt sind.

„Klang und Leben“ nannten Rockmusiker Rainer Schumann (Ex „Fury in the Slaughterhouse“) und Graziano Zampolin ihr gemeinsames Projekt, mit dem sie seit eineinhalb Jahren zusammen mit professionellen Musikern durch Senioreneinrichtungen touren. Über Schlager wie „Capri-Fischer“, „Bel Ami“ oder „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ wecken sie die Erinnerung bei Menschen, die manchmal im Alltag ihre Sprache längst verloren haben. „Es ist immer wieder ein Wunder zu erleben, wie unsere Zuhörer durch die Musik aufblühen“, meint Rainer Schumann. „Jemand, der nicht mehr spricht, singt plötzlich ganze Strophen. Oder ein Mann, der vergessen hat, dass er einmal Gitarre spielen konnte, hat bei uns wieder zum Instrument gegriffen. Solche Momente bewegen mich sehr.“

Direktorin Maria Helena Cammaus hatte zur Auftaktveranstaltung in die Kursana Villa neben Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer und dem Sportmoderator Gerhard Delling als prominentem Ehrengast auch die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Stormarn e.V., Helma Schuhmacher, eingeladen. „Die kognitiven Leistungen verschwinden bei Demenzkranken, aber die Gefühle bleiben“, erklärte sie in ihrem einführenden Vortrag. „Deshalb kommt der Musiktherapie in ihrer Betreuung eine immer größere Bedeutung zu.“ Prof. Eckart Altenmüller von der Musikhochschule Hannover begleitet das „Klang und Leben“-Projekt wissenschaftlich seit der ersten Stunde. Und derzeit entsteht eine TV-Dokumentation, die Einblick in das einzigartige Musikprojekt geben wird.

Gerhard Delling, der zum ersten Mal eine „Klang und Leben“-Veranstaltung erlebte, zeigte sich am Ende tief beeindruckt. „Mein Vater hat wegen seiner Parkinson-Erkrankung am Ende seines Lebens im Pflegeheim gewohnt. An ihm habe ich erlebt, welch wichtige integrative Wirkung Musik auf kranke Menschen haben kann“, sagt der 55jährige Moderator. „Sport und Musik helfen dabei, lebendig zu bleiben. Leider habe ich meine Gitarre schon als Teenager an den Nagel gehängt und mich hundertprozentig für den Sport entschieden. Aber vielleicht kann ich das Musizieren später wieder aufleben lassen.“

Musik kommt in der Kursana Villa auch im Alltag eine hohe Bedeutung zu: Zu allen Jahreszeiten werden Feste mit Musikprogramm von Klassik bis Volksmusik gefeiert, einmal im Monat treten Musiker im Rahmen von Konzerten auf. Seit drei Jahren probt ein hauseigener Chor, bei dem einige Mitglieder dementiell erkrankt sind. „Die Auftritte unseres Chors gehören zu den Sternstunden im Haus. Wenn die Menschen bei uns singen können, sind sie glücklich“, erzählt Direktorin Maria Helena Cammaus, die das „Klang und Leben“-Projekt im kommenden Jahr erneut nach Reinbek einladen möchte.

Als die Musiker am Ende als Zugabe Freddy Quinns „Schön war die Zeit“ anstimmen, strahlen die Bewohner und die Mitarbeiter schunkeln im Hintergrund begeistert mit. Annelise Hänels Augen leuchten, ihre Wangen sind gerötet. „So schön habe ich schon lange nicht mehr getanzt“, bedankt sie sich bei Graziano Zampolin. Und lächelnd fügt sie hinzu: „Kommen Sie recht bald wieder, junger Mann.“